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"Software Architecture in Transition" by Uwe Friedrichsen

Software­architektur im Wandel

Ein Artikel von Uwe Friedrichsen

Generative KI (kurz: GenAI) ist in aller Munde. Allen Branchen werden massive Verän­de­rungen prophezeit, auch der IT. Auf GenAI-Techno­logie basie­rende KI-Agenten sollen Einzug in die Software-Entwicklung halten. Manche gehen sogar so weit, zu behaupten, dass die Software­ent­wicklung zukünftig vollständig von kolla­bo­rie­renden KI-Agenten übernommen wird. In diesem Artikel betrachten wir, was KI für die Rolle von Softwarearchitekt:innen bedeutet.

Fakt oder Fiktion?

Um den Einfluss von KI auf die Rolle von Softwarearchitekt:innen zu unter­suchen, müssen wir zunächst KI betrachten. Dabei stoßen wir direkt auf unsere erste Heraus­for­derung: Es ist derzeit nahezu unmöglich, belastbare Aussagen zur Leistungs­fä­higkeit aktueller und zukünf­tiger KI-Lösungen zu erhalten. Für die einen ist es die Antwort auf alle Fragen des Universums, das Allheil­mittel für alle Probleme des heutigen (Arbeits-)Lebens. Für die anderen ist es eine Luftnummer, ein künstlich aufge­blähter Hype, der seine übertrie­benen Verspre­chungen nicht einhalten kann.

Was ist Fakt, was ist Fiktion? Beides lässt sich häufig nur schwer unter­scheiden. Wollten wir es wirklich verstehen, müssten wir alles selber auspro­bieren. Alle wider­sprüch­lichen Aussagen selbst auf den Prüfstand zu stellen, ist schlicht unmöglich. Kurzum: Es ist kompliziert.

Unscharfe Grenzen

Dann müssen wir Software­architektur betrachten, was auch seine Heraus­for­de­rungen mit sich bringt. Die Grenzen von Software­architektur sind nicht klar zu greifen. Entspre­chend viele Diskus­sionen gibt es darüber, was konkret dazugehört und was nicht, welche Aufgaben man als Architekt:in hat und welche nicht. Auch das ist kompliziert.

Der Einfachheit halber und um eine greifbare Basis zu haben, betrachte ich im Folgenden nur diese vier Kerntä­tig­keiten von Architekturarbeit:

  • Analyse – Die Problem­stellung ganzheitlich verstehen
  • Entwurf – Mögliche Lösungs­op­tionen entwerfen
  • Bewertung – Die Vor- und Nachteile der Optionen herausarbeiten
  • Kolla­bo­ration – Zusam­men­arbeit mit anderen Personen, z. B. zur Infor­ma­ti­ons­ge­winnung oder Vermittlung der Arbeitsergebnisse

Möglich­keiten und Grenzen

Schauen wir auf die vier Kerntä­tig­keiten, so ergibt sich ein diffe­ren­ziertes Bild, was den Einfluss von KI auf das Feld Software­architektur angeht (siehe auch Abbildung):

 

Core Activities in Architecture Work

 

Bei der Analyse kann KI sehr gut unter­stützen: Code, Dokumen­tation und Anfor­de­rungen analy­sieren, einen Überblick verschaffen, Defizite erkennen, Verbes­se­rungs­po­ten­tiale aufzeigen. Hier unter­stützt KI schon tatkräftig und wird auch in Zukunft verstärkt genutzt.

Beim Entwurf ist die Sache weniger einfach: Wenn es um Standard­lö­sungen, wie z. B. eine eCommerce-Lösung geht, dann ist KI bereits heute in der Lage, gute Lösungen zu entwerfen. (Aller­dings frage ich mich immer wieder, warum heute Firmen noch eCommerce-Lösungen selbst entwi­ckeln, anstatt fertige Lösungen via Standard-Software oder SaaS einzukaufen).

Je spezi­eller und origi­närer eine Lösung aber ist, desto weniger kann eine KI unter­stützen, schlicht weil sie in ihren Trainings­daten kaum Beispiele dazu findet. An dieser Stelle hilft uns auch nicht, wenn GenAI-Lösungen dann inter­po­lieren, was auch „Hallu­zi­nieren“ genannt wird. Diese Abstufung der Unter­stützung wird sich wahrscheinlich auch in Zukunft nicht maßgeblich ändern.

Bei der Bewertung kann uns KI auch schon zu einem gewissen Grad unter­stützen, insbe­sondere um auf Aspekte hinzu­weisen, die man mögli­cher­weise in der Bewertung übersehen hat. Es steht zu erwarten, dass die KI-Unter­stützung in diesem Bereich noch stärker werden wird.

Bei der Kolla­bo­ration gibt es nur einge­schränktes Unter­stüt­zungs­po­tential. Das Erstellen von Dokumen­tation kommt immer dann zum Tragen, wenn Menschen nicht direkt mitein­ander inter­agieren können. KI kann schon jetzt tatkräftig dabei unter­stützen und u.a. Meetings oder Workshops transkri­bieren und zusam­men­fassen. Darüber hinaus wird es jedoch dünn. Aber der eigent­liche Kern der Archi­tek­tur­arbeit, das Finden und Bewerten von Lösungen sowie die Kolla­bo­ration zwischen Menschen wird auch in Zukunft eher eine Aufgabe für Menschen bleiben. Dabei kann die Maschine, genauer KI, nicht wirklich unterstützen.

Es gäbe noch viele weitere Aspekte und Details zu betrachten. Mit Blick auf die Artikel­länge belasse ich es dabei.

Alles bleibt anders

Was bedeutet das jetzt für Softwarearchitekt:innen? Deren Arbeit wird sich durchaus verändern: KI wird Einzug in ihre tägliche Arbeit halten. Neue Werkzeuge kommen hinzu, welche die bestehende Toolbox komple­men­tieren. Ob KI bestehende Werkzeuge komplett ersetzen wird, muss sich erst noch zeigen. Dafür ist die Entwicklung noch zu jung.

Was ist mit der Rolle „Softwarearchitekt:in“? Wird sie in Zukunft durch KI ersetzt werden? Ich denke nicht – zumindest auf absehbare Zeit. Die Rolle umfasst eine Vielzahl von Aufgaben, die eine KI vorerst nicht in sinnvoll und der erfor­der­lichen Form leisten kann, weil dafür schlicht nicht genug Trainings­daten existieren. Nicht zuletzt „menschelt“ es auch in der Software­ent­wicklung immer noch stark. Solange Menschen Teil der Software­ent­wicklung sind, gerade auch auf Anfor­de­rungs­seite, werden auch mensch­liche Softwarearchitekt:innen benötigt werden.

Und was bedeutet das für Ausbil­dungs­pfade, wie sie z. B. der iSAQB anbietet? Dort werden die neuen Möglich­keiten und Werkzeuge weiterhin Einzug in die Lehrpläne und Trainings finden müssen, um aktuell und praxisnah zu bleiben. Während Module wie „SWARC4AI – Software­architektur für KI-Systeme“ bereits hinzu­gefügt wurden, werden andere Trainings sich grund­legend verändern, weil immer mehr Aufgaben von KI übernommen werden. Insgesamt wird es weiterhin Bedarf an der Ausbildung von Softwarearchitekt:innen geben.

Es wird also alles anders und es bleibt doch, wie es ist – wie so häufig, wenn der Fortschritt anklopft.


Über den Autor:

Uwe Fried­richsen ist CTO der codecentric AG und Mitglied des iSAQB, regel­mä­ßiger Sprecher auf inter­na­tio­nalen Konfe­renzen, Fachautor sowie Heraus­geber von zwei IT-Publikationen.

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