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Hinter den Kulissen des (neuen) Foundation-Level-Lehrplans

Es war wieder an der Zeit: Just in time erschien Anfang April 2023 das neue Release des iSAQB-Foundation-Lehrplans.

Neben den wesent­lichen Unter­schieden zur Vorgän­ger­version erklärt dieser Blogpost, wie die Arbeit in einem inter­na­tio­nalen und dezen­tralen Verein funktio­niert und welche Methoden und Werkzeuge wir dafür einsetzen.

 

Warum ein neues Release?

Die hohe Dynamik der IT-Branche und der Software­ent­wi­ckung legt nahe, auch die grund­le­gende Ausbildung Software­architektur regel­mäßig hinsichtlich Struktur und Inhalt auf den Prüfstand zu stellen: Gibt es neue Erkennt­nisse oder Methoden in unserer Disziplin? Haben bestehende Themen an Priorität oder prakti­scher Bedeutung verloren?

Insbe­sondere fragen wir viele Teilneh­menden der Foundation-Schulungen sowie die weltweiten Trainer:innen nach Rückmel­dungen oder Verbesserungsvorschlägen.

Zwar erhalten wir auf diese Fragen nur geringes Echo, das ist dennoch für die zuständige Foundation-Level-Arbeits­gruppe (FLWG) sehr wichtig.

 

Stabiler Release­zyklus

Die FLWG hatte sich bereits 2018 auf einen zweijäh­rigen Release­zyklus verständigt. Grund für diese vermeintlich lange Release-Dauer ist der große Aufwand, den jedes Release nach sich zieht. Abbildung 1 zeigt den schema­ti­schen Releaseprozess:

Zum Vergrößern Bild anklicken.

Abbildung 1: Release­prozess Foundation Curriculum

 

Insbe­sondere die Vielzahl der betrof­fenen Stake­holder spricht gegen kürzere Releases:

  • Über 150 akkreditierte Trainer:innen weltweit, die Updates des Lehrplans (manuell) in ihre jewei­ligen Schulungs­un­ter­lagen einar­beiten müssen.
  • Dazu mehrere Dutzend Trainings­pro­vider, die Schulungs­ma­terial entwi­ckeln und Schulungen veranstalten.
  • Prüfungs­firmen, die offizielle Prüfungs­fragen vom ISAQB erhalten, jedoch in ihre eigenen, proprie­tären techni­schen Formate konver­tieren müssen.
  • Mitglieder der Foundation-Level-Arbeits­gruppe (FLWG), die aktiv beitragen und/oder Korrektur lesen.
  • iSAQB GmbH, die Lehrpläne und Prüfungs­fragen in einer Vielzahl von Sprachen (etwa: Spanisch, Italie­nisch etc.) herausgeben.
  • Die Überset­zungs­büros, die den Lehrplan aus dem Engli­schen oder Deutschen in andere Sprachen übersetzen. Diese Übersetzung wiederum wird von inter­na­tio­nalen Review-Teams qualitätsgesichert.

Gerade der letzte Punkt, die Überset­zungen in andere Sprachen, sind einer­seits teuer, anderer­seits aufgrund der notwen­digen Review-Prozesse langwierig. Deswegen wollte die FLWG sowie das iSAQB die 24-monatige Zykluszeit, um diese Aufwände in angemes­senem Rahmen zu halten.

Vom Lehrplan hängen weiterhin die (streng vertrau­lichen) Prüfungs­fragen ab, die wiederum von mehr als einem Dutzend Prüfungs­firmen in verschiedene elektro­nische Formate (für Online-Prüfungen) oder Druck­formate (für Vor-Ort Prüfungen) konver­tiert werden müssen.

 

Änderungen gegenüber 2021

Das Wichtigste zuerst: Die bewährte Grund­struktur bleibt komplett bestehen: Die fünf Kapitel (siehe Abbildung 2) geben bereits seit vielen Jahren dem Foundation-Lehrplan eine saubere Struktur.

Abbildung 2: Kapitel­struktur des Foundation-Lehrplans V‑2023

 

Die Bedeutung dieser Kapitel habe ich schon in einem früheren Blogpost (auf Englisch) erklärt.

Die inhalt­lichen Änderungen am Lehrplan V‑2023 sind eher kleinerer Natur. Insgesamt wurde der Lehrplan in wichtigen Punkten klarer formu­liert und strukturiert.

Übersicht 1 gibt einen Überblick (darin: „LZ“ = Lernziel).

LZ 1–2: Energie­ef­fi­zienz als typische Anfor­derung hinzugefügt
LZ 1–6, LZ 1–7: Prüfungs­re­levanz reduziert
LZ 1–10: Cloud-Native Systeme als Typ von IT-System hinzugefügt
LZ 2–3: Titel geändert
LZ 2–5: diverse Patterns leicht im Wording angepasst
LZ 2–10: Neues Lernziel „Prinzipien von Software-Deployments“ 
LZ 3–1: Titel geändert
LZ 3–2: Erweitert um das alte LZ 3–9, für bessere Kohäsion der Inhalte
LZ 3–9: Neue Nummer, war vorher 3–10
LZ 4–3 & LZ 4–4: In beiden Lernzielen konsis­tentere Wortwahl
Viele Litera­tur­re­fe­renzen und online-Links korri­giert, einige Quellen neu hinzu­gefügt oder aktualisiert

Übersicht 1: Zusam­men­fassung wichtiger Änderungen in V‑2023 gegenüber V‑2021

 

Freiwillig und verteilt – analog zu OpenSource

Die Arbeit am Foundation-Lehrplan (und übrigens allen anderen Lehrplänen des iSAQB) basiert auf freiwil­liger Mitwirkung von Inter­es­sierten, die sich in der Foundation-Level-Arbeits­gruppe unter der Ägide und der Satzung des iSAQB zusam­men­ge­schlossen haben. Diese Organi­sa­ti­onsform unter­scheidet sich auf den ersten Blick kaum von vielen Open-Source-Projekten – was liegt also näher, als zur Arbeits­or­ga­ni­sation bewährte Mittel der (Open-Source) Software­ent­wicklung zu verwenden?

Schon vor einigen Jahren haben wir die Pflege des Foundation-Lehrplans von einem proprie­tären Office-Format auf AsciiDoc umgestellt und sind in ein öffent­liches GitHub-Repository umgezogen.

Für die Koordi­nation von Aufgaben verwenden wir, naheliegend, daher GitHub-Issues sowie ein entspre­chendes Task-Board (siehe Abbildung 3, online unter [flwg-tasks]). Bei genauem Hinschauen erkennen Sie, dass die FLWG für das Release 2023 über hundert „issues“ erledigt hat.

Zum Vergrößern Bild anklicken.

Abbildung 3: (Auszug aus) Foundation-Curriculum-Task-Board

 

iSAQB-Dokumente werden wie Software gebaut

Da sämtliche Inhalte, wie beispiels­weise Lernziele, in AsciiDoc gepflegt werden, können wir sie exakt wie Sourcecode behandeln: eine exakt nachvoll­ziehbare Versi­ons­his­torie pflegen, Unter­schiede ordentlich mit diff erkennen, und – was uns in der FLWG am meisten freut: automa­ti­siert bauen. Die Hinter­gründe dazu haben wir im Blogpost „Babylon-as-a-feature“ (auf Englisch, siehe [babylon-feature]) genauer erläutert.

Hier möchten wir einige wesent­liche Eigen­schaften hervorheben:

  • Unser Automa­tismus basiert zu 100% auf freier Software, d. h. zur Mitarbeit ist keine proprietäre Instal­lation erforderlich.
  • Die FLWG verant­wortet nur Englisch und Deutsch als Sprachen, weitere liegen in der Verant­wortung der iSAQB GmbH respektive der Übersetzungsbüros.
  • Unser Automa­tismus generiert PDF und HTML in standar­di­siertem iSAQB-Layout. Mehr dazu folgt unten.
  • Dokumente werden seman­tisch versio­niert, Details finden Sie unter [versions].

 

Standar­di­siertes Layout dank Git

Das iSAQB möchte ein (möglichst) einheit­liches Layout aller offizi­ellen Dokumente erreichen – was liegt da näher, als das Styling möglichst komplett zu automatisieren?

AsciiDoc (siehe [asciidoc]) bietet dafür elegante Möglich­keiten: Einer­seits flexible Format­vor­lagen für PDF, anderer­seits die Einbindung eigener Style­sheets in die HTML-Generierung. Die iSAQB-Standard-Layouts liegen jeweils in eigenen GitHub-Reposi­tories (siehe z. B. [pdftheme]) und werden als Git-Submodule in Lehrpläne eingebunden.

Durch diesen techni­schen Kniff vermeidet das iSAQB redun­dante Pflege von Formaten oder Styling und ermög­licht anderer­seits den einfachen Start möglicher neuer Lehrpläne.

Mittler­weile fließen auch weitere standar­di­sierte Elemente von Lehrplänen (etwa: Lizenz­be­din­gungen und Copyright-Vermerke) durch Git-Submodule in die Generierung von Lehrplänen ein.

 

Ein (kleines) Layer-8-Problem

Gerade beim Foundation-Lehrplan stoßen wir aller­dings auf Grenzen dieser eleganten Lösung: Einige der oben erwähnten Stake­holder, insbe­sondere Überset­zungs­büros und inter­na­tionale Reviewer, beharren bei der Dokumen­tation auf proprie­tären Office-Formaten. Das liegt weniger an Schwächen unserer AsciiDoc-Werkzeug­kette als an mensch­lichen Faktoren – was in der Branche als Layer-8-Problem bekannt ist. Die iSAQB GmbH fungiert hier als „Adapter-Pattern“ – und erzeugt die notwen­digen PDF-Dokumente, beispiels­weise für Italie­nisch oder Spanisch, manuell auf Basis von Office-Dokumenten.

 

Fazit

Die neue Version des Foundation-Lehrplans kommt sauberer und aufge­räumter daher, etwas entstaubt und mit ein paar inter­es­santen neuen Details gewürzt. Die Foundation-Level-Arbeits­gruppe freut sich über Feedback!

 

Danksagung

Danke an alle Mitwir­kenden des neuen Lehrplan-Releases und danke insbe­sondere an Dr. Alexander Lorz für das Review dieses Artikels und an Ben Wolf für seinen umfang­reichen Beitrag.

 

Referenzen

[flwg-tasks]: Task-Board der Foundation-Arbeitsgruppe

[cpsa-github] Das öffent­liche Github-Repository  des Foundation Levels, Lehrplan mit Tasks/Issues

[babylon] Gernot Starke, Benjamin Wolf: Babylon-as-a-Feature: Multi-lingual documen­tation, made simple

[asciidoc] https://asciidoctor.org/

[versions] https://github.com/isaqb-org/github-readme

[pdftheme] https://github.com/isaqb-org/pdf-theme

[layer8] https://de.wikipedia.org/wiki/Layer_8

[glossary] iSAQB Glossary of Software Architecture Termi­nology. Ein kosten­freies eBook, das Begriffe der iSAQB Lehrpläne erklärt.

[download] iSAQB-Download-Site

[exam-guide] Gernot Starke + Alexander Lorz: Software Architecture Foundation – Exam prepa­ration guide. VanHaren Inter­na­tional, 2021. Dieses Buch erklärt sämtliche Lernziele im Detais, und hilft damit perfekt zur Vorbe­reitung der CPSA-Foundation Zerti­fi­zierung (sowohl für den alten wie auch den neuen Lehrplan!)

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Über die Autor:innen

Dr. Gernot Starke
Organisation
Land
Deutschland
Gernot Starke, INNOQ-Fellow, ist von ganzem Herzen Informatiker. Er findet Programmieren cool und liebt die Herausforderungen moderner Softwaresysteme. Gernot ist Mitbegründer des iSAQB und leitet seit fast 10 Jahren die Arbeitsgruppe "Foundation Level". Außerdem ist er Mitbegründer der beiden Open-Source-Architekturmethodik-Projekte arc42 und aim42. In seinem Berufsalltag berät Gernot Unternehmen aus verschiedenen Branchen zu systematischer Softwarearchitektur. Er führt regelmäßig Schulungen zu Architektur und verwandten Themen durch. Die erste Auflage seines Buches "Effektive Softwarearchitekturen" erschien 2001 und wurde seither kontinuierlich aktualisiert – die neueste (9.) Auflage erschien 2020. Zusammen mit Alexander Lorz erstellte er den (englischen) "Software Architecture Foundation – CPSA-F Exam Study Guide", erschienen bei VanHaaren International – das einzige Buch, das alle 40 CPSA-F-Lernziele einzeln erklärt.

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